Schiedsrichter: Herausforderung – Verantwortung
🇨🇭 Roland Zolliker
Schiedsrichter zu sein ist keine dankbare Aufgabe. Derjenige, der die Punkte erhält, ist erfreut, derjenige, der sie nicht erhält, weniger. (Foto: Championscup 2025 Hard am See mit dem ehemaligen WKF-Schiedsrichterchef Roland Lowinger, Stéphanie Moix und Piero Lüthold).
Das Anforderungsprofil verlangt von Schiedsrichtern mehrere Kompetenzen: 1-Teamfähigkeit, 2-sattelfest in den Reglementen, 3-Empathie (für Reaktionen Athleten/Coachs), 4-Reaktionsfähigkeit der Augen, 5-Neutralität.
Die 2-tägigen Turniere der Swiss Karate League erfordern eine ausgeprägte physisch-psychische Gesundheit und mentale Stärke. Zur Vorbereitung ist es unabdingbar, dass die Schiedsrichter selbst regelmässig trainieren und im Dojo so viele Übungskämpfe wie möglich absolvieren.
Schiedsrichter sehen, wie alle Menschen auch, nicht immer alles, können nicht alles sehen, weil ganz einfach der Sichtwinkel dies nicht zulässt. Darum wird jede Kumite Begegnung, orchestriert von einem «Haupt-Schiedsrichter», von vier Personen bewertet. Die Herausforderung ist es, innert Sekunden alle Kriterien abrufen, um zu einer Entscheidung zu kommen. Diese sind im Kumite:
1-Gute Form (richtig ausgeführte Technik), 2-sportliche Einstellung (Ausführung der Technik ohne Verletzungsabsicht), 3-kraftvolle Anwendung (Ausführung der Technik mit Geschwindigkeit und Kraft), 4-Aufmerksamkeit (den Gegner sowohl während als auch nach der Ausführung der Technik im Auge behalten), 5-Gutes Timing (Ausführung der Technik im richtigen Moment), 6-Korrekte Distanz (Ausführung der Technik in einer Entfernung, in der die Technik wirksam wäre).
In der Kata gelten die folgenden Bewertungskriterien: 1-Stände (hier ist ein explizites Wissen über die verschiedenen Stile unabdingbar), 2-Techniken, 3-Übergangsbewegungen, 4-Timing und Synchronisation, 5-korrekte Atmung, 6-Fokus (Kime), 7-Übereinstimmung: Konsistenz des Kihon des Stils (Ryu-ha) während der gesamten Ausführung, 8-Kraft, 9-Schnelligkeit, 10-Gleichgewicht.
Wie funktionieren nun die Entscheidungen? Die Wahrnehmung des Geschehens erfolgt über das Sinnesorgan sehen. Das GESEHENE kommt in den Kopf, in die Grosshirnrinde. Dort erfolgt die Bewertung im Kurzzeitgedächtnis. Im Gegensatz zu einem Zeitmesser (oder Höhen/Weitermeter) – hier gewinnen immer die objektiv Besten – entscheidet der Mensch immer subjektiv. Es ist immer seine ur-eigene, persönliche Bewertung.
Der sogenannte Mandelkern im Gehirn bewertet jegliches Geschehen auch immer emotional und greift dabei auch auf Situationen zurück, die schon einmal da waren. Deshalb entstehen viele Bewertungen durch Intuition und Persönlichkeit des Schiedsrichters. Diese müssen immer daran arbeiten, dass sich ihre Entscheide an eine möglichst zumutbare Subjektivität annähern.
Dazu hilft das Üben von verschiedenen Katas mit Bunkai. Dies fordert das Gehirn ständig heraus, in dem es neue Abläufe lernen muss, diese zu merken und umzusetzen. So entstehen neue neuronale Verbindungen. Karate generell hilft die Aufmerksamkeit, das Erinnerungsvermögen und die geistige Flexibilität zu verbessern. Das alles steigert die Gehirnleistung.
Um so mehr trainiert wird, um so mehr (verdichtet) sich das Gehirn. Foto «Optimales Bewegungslernen, 1983» von Arturo Hotz, Chef Trainerausbildung SKF 1987-1994.
Verantwortlich in der Schweiz ist die Nationale Schiedsrichterkommission. Sie ist für die nationalen Turniere der Swiss Karate League und die beiden Schweizermeisterschaften WKF-Sport-Karate und Ippon Shobu zuständig. Die Zuständigkeit des Schiedsrichterwesens für die Nachwuchsturniere der Promo Tour (SKU) und Junior Karate League (SKA, SKK) sowie die kantonalen Meisterschaften regeln die Landes- und Kantonalverbände selbst.
In einem Schreiben an den Zentralvorstand, an die Nationale Schiedsrichterkommission nahm NSK-Präsident Piero Lüthold, nach seiner Wiederwahl, zu einigen Themen ausführlich Stellung:
Turniere national
Präsenz
Wir sind dort engagiert im Einsatz, wo diese durchgeführt werden. An den drei Turnieren der Swiss Karate League, den Schweizermeisterschaften des WKF-Sport-Karate und an den traditionellen Titelkämpfen. Dazu gehören auch die Ippon Shobu Turniere der SKR, die Promo Tour Veranstaltungen der SKU sowie die Junior Karate League Turniere der Sektionen SKA und SSK. Einige Schiedsrichter sind auch an kantonalen Meisterschaften präsent. So kann ein Schiedsrichter national gut auf 8-10, international 12-14 Turniere kommen.
Arbeitsteilung
Die Aufgaben sind klar verteilt. Auf Listen ist ersichtlich, wer Tatami-Chef ist, wer assistiert. Es gelten die WKF-Rules und das SKF-Schiedsrichterreglement. Der Zeitplan wird von Reta erarbeitet und anschliessend von mir und den Organisatoren verabschiedet. Entscheidend ist immer wie viele SchiedsrichterInnen wir haben. Daraus ergibt sich die entsprechende Anzahl für die Tatamis, allenfalls eine Reduktion.
Emotionen/Verhalten
Stimmung gehört zum Sport. Dazu gehören Freude, Frustration, Traurigkeit und vieles mehr. Immer ausgelöst durch das Geschehen auf den Tatamis. Der eine Coach reagiert emotionaler, je nach seinem natürlichen Temperament. Die von ihm gecoachten Karatekas wissen das und können damit gut leben. Die Coachs dürfen taktische Anweisungen geben, ihre SportlerInnen anfeuern, sie verbal begleiten. Nicht angebracht sind Gestiken, Kommentare gegenüber Entscheidungen oder eben Nichtentscheidungen von Schiedsrichtern. Hier gilt die Meinungsfreiheit nicht. Und auch kein Versammeln um Schiedsrichter.
Wer mit einer Entscheidung nicht einverstanden hat die Möglichkeit des Protests oder kann uns nach dem Turnier entsprechende Videos zustellen. Dies schätzen wir und sehen dies durchaus als wertvoll an.
Im Übrigen ist bei uns das psychische, physische und soziale Wohlbefinden zentral. Hätten wir dies nicht, gäbe es keine Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter mehr.
Weiterbildung
Fordern und Fördern
Wir tun das, was mit unseren zeitlichen Ressourcen möglich ist. Ich weise darauf hin, dass die erste Förderung im Dojo geschieht, dann an Sektionsturnieren, später an den Turnieren der Promo Tour und der Junior Karate League, die man als regionale Förderung ansehen kann. Hier beginnt auch die Förderung von weiblichen Schiedsrichtern. Wir haben in der NSK den Anspruch, dass zu uns bereits ausgebildete und mit einiger Turniererfahrung versehene Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen kommen. Darauf haben die Athletinnen und Athleten Anrecht.
Turniere International
Ablauf
Die Turniere, meist von frühmorgens bis abends, sind anstrengend und fordern von uns physisch und mental einiges ab. Ziel ist es immer, die Reglemente korrekt anzuwenden, auch in hektischen Situationen richtig und angemessen zu entscheiden, keine Proteste zu provozieren und nach dem Turnier wieder mit der entsprechenden Lizenz nach Hause zu gehen.
Ehrenamtlichkeit
Es ist offenbar wenig bekannt, dass wir – und dafür setzen wir viele Ferientage oder unbezahlte Urlaubstage ein- die internationalen Schiedsrichter, uns ehrenamtlich engagieren und kein Honorar für die von uns bestrittenen Turnieren weder von der WKF noch EKF, der SKF oder den entsprechenden Organisatoren erhalten. Auch gibt es keine Lohnausfall Entschädigung. Wir sehen hier deshalb der ökonomischen «Weiterentwicklung» unseres Budgets erfreut entgegen.
Medaillenkämpfe
Die Kämpfe um die Medaillen finden jeweils am Samstag und Sonntag statt. Wer von uns selektioniert wird entscheidet die WKF. Alle Schiedsrichter von uns sind auf verschiedenen Tatamis. Dort werden sie von Tatami-Chefs beurteilt und dann vorgeschlagen oder nicht. Entscheidend ist auch, welche Athleten sich für die Medaillenkämpfe qualifiziert haben.
Piero Lüthold, 2024 in die europäische Schiedsrichterkommission gewählt
Meetings / Wiederwahl
Einiges wird an den Turnieren der WKF EKF besprochen. Nicht später, wenn alle schon wieder in ihren Berufsalltag eingebunden sind. Was wir international erfahren, mitbekommen – in der täglichen Praxis auf den Tatamis, an den Briefings und persönlichen Gesprächen – fliesst immer direkt in die Schiedsrichterausbildung sowie in die Briefings an den Turnieren ein. Änderungen und Interpretationen der WKF-Regelwerke sind auch Thema an unseren nationalen NSK-Meetings.
Wiederwahl
Ich wurde mit überwältigender Mehrheit der Stimmen wiedergewählt. Und erzielte, dafür danke ich allen Sektionen herzlich, einen höheren Stimmenanteil als Frau Bundesrätin Karin Keller-Sutter bei ihrer Wahl zur Bundespräsidentin. Das muss man zuerst einmal schaffen!